Die Freien Dozent*innen Berlin kritisieren in einem Offenen Brief (s.u.) die zunehmenden Vorschriften des BAMF im Integrationskurs, welche sie als kontraproduktive Zwangsmaßnahmen gegen die Kursteilnehmenden ablehnen. Der Brief wurde zum “Tag des Migranten” am 18.12.2018 an das BAMF sowie weitere Ministerien und PolitikerInnen geschickt. Die Unterzeichnerliste umfasste zu diesem Zeitpunkt 105 Einzelpersonen und 29 Organisationen. Der Volltext ist unten in diesem Beitrag nachlesbar.
Pressespiegel:
“Deutschlehrer gegen repressives Kursklima gegen Flüchtlinge”, nd, 18.12.2018
Unterzeichnen:
Die Freien Dozent*innen sammeln weiterhin Unterschriften. Schickt einfach eine E-Mail mit eurem (ggf. abgekürzten) Namen, evtl. Beruf und Stadt, oder den Namen eurer Gruppe/Organisation an freiedozentinnen@gmail.com. Die Unterzeichnerliste wird ca. einmal im Monat aktualisiert.

(Foto: Wokandapix auf pixabay.com)
Förderung statt Zwang in Integrationskursen!
Mit dem BAMF-Trägerrundschreiben vom 08.08.2018 wurde eine Meldepflicht für die Kursträger weiter verschärft: zum Integrationskurs verpflichtete Teilnehmer*innen sollen vom Träger dem Jobcenter / der Ausländerbehörde gemeldet werden, wenn sie mehr als 20% der Unterrichtsstunden in einem Kursabschnitt oder ab drei Tagen am Stück entschuldigt oder unentschuldigt fehlen. Bei Krankheit muss nun schon ab dem 2. Fehltag ein ärztlicherNachweis erbracht werden. Im Falle einer sogenannten nicht ordnungsgemäßen Teilnahme am Kursdrohen den Teilnehmer*innen, zumeist Geflüchtete und Arbeitsmigrant*innen, Sanktionen. Ihnen kann zum Beispiel die Möglichkeit versagt werden, Wiederholungsstunden in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus wurde die freie Wahl des Bildungsträgers sowie der Wechsel zu einem anderen Träger für die Teilnehmer*innen eingeschränkt.
Diese Zwangsmaßnahmen halten wir für kontraproduktiv und unhaltbar, da sie an der Realität der Teilnehmer*innen vorbeigehen und ein repressives Kursklima schaffen.
Wir erleben unsere Teilnehmer*innen zum größten Teil motiviert und sehr interessiert daran, die deutsche Sprache zu erlernen, die nicht für ihre Einfachheit bekannt ist. Gerade Geflüchtete müssen oft ein völlig neues Schriftsystem in einer Sprache lernen, die von ihrer eigenen Muttersprache sehr weit entfernt ist. Es bedeutet sehr viel Arbeit und Übung, oft erschwert durch folgende Umstände: Unsere Teilnehmer*innen sind nicht hauptsächlich junge, gesunde alleinstehende Menschen, die ihren Alltag rein am Deutschkurs ausrichten können. Viele haben Kinder oder sogar schon Enkelkinder und/oder sind seit längerem kein Schulumfeld mehr gewöhnt. Sie haben regelmäßige Behördentermine, viele sind auf Wohnungssuche, leben oft auf engsten Raum in Heimen, also an Orten ohne Ruhe zum Lernen. Viele werden von (chronischen) Krankheiten geplagt, sind vor Krieg und Unrecht geflohen und haben lebensbedrohliche Situationen durchlebt, deren Folgen oft Traumata sind.
Der Fehlzeitenkatalog des BAMF, der die offiziell anerkannten Gründe für das Fernbleiben vom Unterricht aufführt, sowie die neuen Regelungen berücksichtigen diese Lebensrealitäten der Teilnehmer*innen nicht.
Darüber hinaus schaffen die neuen Maßnahmen eine Atmosphäre des Zwangs und der Denunziation, welche das für den Lernerfolg überaus wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Teilnehmer*innen und Dozent*innen belastet.
Wir wissen um die Debatte über die niedrige Erfolgsrate beim Deutschtest für Zuwanderer. Bezüglich dieser Zahlen sei bemerkt: Die Aufregung um die sinkende Rate der Teilnehmer*innen, die B1 bestehen, berücksichtigt nicht die Zielsetzung der Alphabetisierungskurse, A2 zu bestehen. D.h. die Alphabetisierungskurse werden oft erfolgreich abgeschlossen, aber in der Statistik trotzdem als Versagen dargestellt.
Wir Dozent*innen sind dagegen, dass der Verfall des Anspruches auf ihren Deutschunterricht wie ein Damoklesschwert über den Teilnehmer*innen schwebt. Ihnen kann der Leistungsbezug vom Jobcenter gekürzt werden, obwohl das Jobcenter wie auch die Ausländerbehörde oftmals Termine in die Unterrichtszeit legen und damit selber eine ordnungsgemäße Kursteilnahme verhindern. So etwas erzeugt Ohnmacht. Auch ist es möglich, dass sich zu hohe Fehlzeiten negativ auf die Teilnehmer*innen bezüglich ihrer Aufenthaltsverlängerung und ihre Chance auf Familiennachzug auswirken. So müssen sie z.B. auch abwägen, ob sie bei Krankheit zu Hause bleiben können bzw. sie ihre geringe Chance auf eine Wohnung im Vorhinein aufgeben müssen, weil sie Besichtigungstermine zu Unterrichtszeiten nicht wahrnehmen können. In dieser Unsicherheit zu leben ist eine Zumutung und kontraproduktiv für das Lernen.
Wir sehen uns solidarisch an der Seite unserer Teilnehmer*innen, denn wir wissen, mit welchen Voraussetzungen sie die Deutschkurse besuchen und in welchen Lebenslagen sie sich momentan befinden. Wir möchten das Interesse und die Neugier, mit der Teilnehmer*innen zu uns kommen, weiter fördern, so dass sie ihren positiven Zugang zur deutschen Sprache und ihre Freude am Lernen beibehalten. Mit Zwang ist dies unserer Ansicht und unserer Erfahrung nach nicht möglich. Was sie neben Motivation und Vertrauen brauchen, ist vor allem ausreichend Zeit. Die Kursdauer, -größe und -stabilität sollte dringend den spezifischen Lern-und Lebenssituationen der Teilnehmer*innen Rechnung tragen, auch der von älteren und lernungewohnten.
Um erfolgreich lernen zu können, müssen sich die Teilnehmer*innen in ihren Kursen und mit den Dozent*innen wohl fühlen, sich von ihnen gefordert und gefördert fühlen. Deshalb ist die selbstbestimmte Wahl der Lernumgebung von immenser Bedeutung. Nicht immer passt die Stimmung zwischen Dozent*in und Teilnehmer*in. Auch werden Teilnehmer*innen zur Wahrung der Mindestteilnehmendenzahl oft in falsche Kursniveaus eingestuft, was in der Regel weitreichende Folgen nicht nur für den Lernerfolg jedes Einzelnen, sondern auch für die Gruppendynamik im Kurs hat.
Die einzige Möglichkeit der Teilnehmer*innen, den eigenen Lernerfolg trotz alledem zu sichern, war bisher der Wechsel des Kursträgers. Diese Möglichkeit wurde nun erheblich beschnitten. Wir verstehen nicht, wie dies dazu führen soll, dass mehr Menschen die Sprache lernen, um ihren Alltag in Deutschland meistern zu können, und den Deutschtest für Zuwanderer erfolgreich bestehen.
Wir fordern die Rücknahme der neuen Maßnahmen des BAMF, da diese nicht nur eine Verschlechterung der Lebenssituation unserer Teilnehmer*innen und des Lernklimas in unseren Kursen bedeuten, sondern auch eine Erschwerung unseres Berufs und eine Überlastung der Verwaltung.
Wir fordern außerdem ein Ende der stetigen Ausweitung der Kontrollen und Sanktionen, die unsere Teilnehmer*innen unter Generalverdacht stellen. Um bessere Ergebnisse zu erzielen, brauchen wir stattdessen ausreichende, auf die Bedürfnisse der Teilnehmer*innen zugeschnittene und flexible Kursangebote, um auch Menschen mit unterbrochenen Bildungsverläufen eine Chance auf einen realistischen Bildungsabschluss zu ermöglichen.
Wenn das BAMF die Qualität der Integrationskurseverbessern will, sollte es die Menschen mit einbeziehen, die die Realität der Kurse am besten kennen: Dozent*innen und Teilnehmer*innen.
Unterzeichner*innen
DaF/DaZ-Gruppen
Freie Dozent*innen Berlin
Dozent*innen-Initiative VHS-Leipzig
VHS Dozent*innenvertretung Berlin
Sabrina Staats, Sprecherin der Dozenten an der VHS Moers
Aktionsbündnis DaF Hannover
Honorarlehrkräfte Rostock
Augsburg DaZ
Bündnis DaZ/DaF Oberlausitz
Honorarlehrkräfte aus Ratingen
Honorarlehrkräfte Köln
Schulen/Einrichtungen
Bénédict International Language and Business School GmbH, Köln
SprachHaus Köln
Sprachschule Heesch, Hamburg
Babylonia e.V., Berlin
Gewerkschaften
BAG Studierende in ver.di
DGB-Hochschulgruppe ASH, Berlin
Bildungssektion der FAU Jena
Bildungssektion der FAU Berlin
Arbeitskreis Honorarkräfte GEW Düsseldorf
Andere Gruppen
BASTA! – Erwerbsloseninitiative, Berlin
Bündnis Zwangsräumung verhindern, Berlin
Haus der Jugend „Bunte Kuh“ e.V., Berlin
Neue Nachbarn Rudolstadt
Kulturkosmos Leipzig e.V.
Ruth Scheuer, Integrationshaus e.V., Köln
Kathrin Schwarz, Treffpunkt Kirchdorf-Süd, teilhabeorientierte Leistungen (ASP)
Waltraud Teigeler, Eine Welt Kreis Salzkotten, e.V.
Moabiter Ratschlag e.V., Berlin
kritnet- Netzwerk kritische Migrations- und Grenzregimeforschung
Privatpersonen
C. Pudlitz, freie Dozentin bei StartBildung
Mariya Werth
Elise Schirrmacher, Köln
Angela Kobalt, Leipzig
Hildegard A. Wilkes, Köln
Hans Hecker, Köln
Delshad Abramiams, Dozentin für DaF
Liudmila Stegert, Köln
Cristina R., freie Sprachlehrerin, Leipzig
Annemarie Kögl
Ulrike Brock, Köln
Mario Schenk, FU Berlin
Filiz Dağcı, Promotionsstipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Prof. Dr. Annita Kalpaka, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg
Lucie Legay, Kursleiterin VHS Bremen
Dr. Alisha M.B. Heinemann, Wien
Dr. des. Jana Häberlein, Critical Migration and Border Studies, Gender Studies, Basel
Konrad Wolf, Berlin
Dr. Martina Blank, Institut für Humangeographie, Schwerpunkt Fluchtforschung, Frankfurt a.M.
Chrysoula Lizou, Kursleiterin VHS Neukölln
Christiane Teichner, Diplom Sozialpädagogin, Magistra Public Health, VHS Spandau
Prof. Dr. Albert Scherr, Freiburg
Niels Meier
Marianne Dallmer, Berlin
Aaron Otto Langguth, FU Berlin
Daniele Sapienza, VHS Friedrichshain-Kreuzberg
Nora Bischoff, M.A., Berlin
Anne Spier-Mazor
David Neumann-Cosel, Berlin
Marzia Pistole, Berlin
Lion Paechnatz
Hardy Finn
Sylvia Neuendorf
Ellen von Tayn, VHS Reinickendorf Berlin
Deike Schirge
Marleen Walter, VHS Reinickendorf
Michael Keesmeyer
Sandra Steinmetz
Natalia Larionova
Ina Kappes
Brigitta Elisa Simbürger
Roswita Sanders, DaF/DaZ -Honorarlehrkraft Bergisch Gladbach
Cornelia Geeve, Stuttgart
Jutta Watzlawik
Petra de Abreu, Honorarlehrkraft Flensburg
Andrea Herzog, Hamburg
Wera Rohowski, ehrenamtliche Deutschlehrerin für Geflüchtete
Nicola Pronobis
Dr. Ursula Bischoff
Birivan Ibin
Jana Trestikova
Maria Schmidt
Dorothee Schepers-Märtin
Natalie Wasserman, Berlin
Tsiaprazi Elissavet
Julia Kettner
Luise Meißner, Kursleiterin in Integrationskursen, Eisenach
Samir Guliyev
Cordula Greinert, Hamburg
Sebastian B., Jena
Hans S., Leipzig
Yannick E., Berlin
Norma T., Kassel
Florian W., Berlin
Konstantin B., Jena
Katharina R., Jena
Malte C., Darmstadt
Nadine S., Marburg
Lisa H., Frankfurt
Theresa B., Frankfurt
Nora R., Offenbach
Florian H., Offenbach
Steve P., Dresden
Christine E., Jena
Timo S., Frankfurt a.M.
Astrid R., Erfurt
Lilith D., Jena
Maél G., Leipzig
Frederik K., Leipzig
Carlos P., Jena
Nastasia O., Leipzig
Oscar L., Hamburg
Tom T., Hamburg
Kali T., Leipzig
Lena G., Jena
Robin H., Jena
Eike N., Jena
Maria D., Jena
Dorothea Mavrakis
Bettina Pech, Zühlendorf
Dorothee Wendt, Autorin, Regisseurin, Musikerin
Michèle Stieber, Dozentin bei SiS Sprach-und Integrationsschule e.V., Berlin
Timon Mürer, Berlin
Dörte Fischer, Frankfurt a.M.
Silv Bannenberg
Dominique Gareis
Jaddy Stummann
Judith Schneider
Tina Kiel
Steffen Hänschen
Judith Krane
Kay Wendel
Helga Steinmaier, Integrationskursdozentin, Dortmund
Helena Gutjahr
Tabitha Comnick
Nachunterschrieben haben:
Organisationen:
Bleiberechtsaussschuss der GEW Hamburg
BAMA – Bundesausschuss für Migration, Diversity, Antidiskriminierung der GEW
Einzelpersonen:
Prof. Dr. Bernd Käpplinger, Hochschullehrer, Gießen
Andrea Herzog, Deutschlehrerin, Hamburg
Bernhard Schmidkunz, Frankfurt
Victoria Helbig, Deutschdozentin, Leipzig
Christian Schreier, Mörfelden-Walldorf
Freyja Pe* von Rüden, Lehrkraft in Integrationskursen, Oldenburg
Dorothea Giesche von Rüden, Wardenburg
Nicole Moosmüller, Erziehungs- und Bildungswissenschaftlerin, Bremen
Julia Campos, DaF-Dozentin, Heidelberg
Clara Wermter, Studierende aus Jena
Dieser Brief wurde zum 18.12.2018, Internationaler Tag der Migranten, an folgende Stellen geschickt:
Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Dr.Sommer
Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Abteilung M, Migration; Flüchtlinge; Rückkehrpolitik, Ministerialdirigigent Weinbrenner
Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Geschäftsstelle Qualitätsoffensive BAMF,
Ministerialrat Haferkamp
Beauftragte der Bundesregierung für Migration und Flüchtlinge, Frau Staatsministerin Annette Widmann-Mauz
Beauftragter für Integration und Migration des Senats von Berlin Herrn Andreas Germershausen
Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen Frau Salma Nadya Arzouni
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Frau Senatorin Elke Breitenbach
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Herrn Staatssekretär Daniel Tietze
Bundesministerium für Arbeit und Soziales Staatssekretärin Leonie Gebers
Bundestag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Vorsitzende: Gyde Jensen (FDP)
Sprecher: Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU)
Obmann: Frank Heinrich (Chemnitz)(CDU/CSU)
Obmann: Frank Schwabe (SPD)
Obmann: Lukas Köhler (FDP)
Obmann: Michel Brandt (Die Linke)
Sprecherin: Zaklin Nastic (Die Linke)
Obfrau, Sprecherin: Margarete Bause (Grüne)
Bundestag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Vorsitzender: Matthias Bartke (SPD)
Sprecher: Peter Weiß (Emmendingen), (CDU/CSU)
Obfrau, Sprecherin: Kerstin Tack, (SPD)
Obmann: Matthias Zimmer, (CDU/CSU)
Stellver. Vorsitzender: Matthias W. Birkwald (Linke)
Obmann, Sprecher: Pascal Kober (FDP)
Sprecher: Johannes Vogel (Olpe) (FDP)
Obmann, Sprecher: Markus Kurth (Grüne)
Bundestag Ausschuss für Inneres
Vorsitzende: Andrea Lindholz, CDU/CSU
Obmann: Schuster (Weil am Rhein), Armin, CDU/CSU
Obmann: Burkhard Lischka, SPD
Sprecher: Konstantin Kuhle, FPD
Obfrau: Linda Teuteberg, FPD
Obfrau: Ulla Jelpke, Linke
Obfrau: Filiz Polat, Grüne