Die Grüne Bundestagsfraktion hat am 25.09.2019 in Berlin ein Fachgespräch über Selbstständigkeit und Altersvorsorge veranstaltet, das mit einem Redebeitrag von Markus Kurth, rentenpolitischem Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, eröffnet wurde. Nach seiner Auffassung bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch vieler Selbstständiger nach Autonomie und dem Bedürfnis anderer Selbstständiger nach gesetzlichem Schutz.
Der erste Block der Veranstaltung trug den Titel “Die Weiterentwicklung des Statusfeststellungsverfahrens” und der zweite “Auftraggeberbeteiligung an den Sozialversicherungsbeiträgen”. Sie wurden von einem Beitrag jeweils von Prof. Karl-Jürgen Bieback und von Prof. Uwe Fachinger eingeleitet.
In vielen Redebeiträgen aus dem Publikum wurde das Statusfeststellungsverfahren kritisiert, und zwar aus unterschiedlichen Gesichtspunkten. Für die einen stellt dieses Verfahren einen Eingriff in ihre Autonomie dar, weil sie bewusst freiberuflich arbeiten und diesen Status behalten wollen. Für andere, typischerweise für Honorardozent*innen, birgt ein Statusfeststellungsverfahren durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) einige Gefahren: Als selbstständige Lehrkräfte sind sie verpflichtet, in die DRV Beiträge einzuzahlen, was einige nicht tun, da sie sich es nicht leisten können. Wenn das Statusfeststellungsverfahren beweist, dass sie Scheinselbstständige sind, bedeutet dies nicht, dass ihnen die Auftraggeber*innen eine Anstellung anbieten müssen; ganz im Gegenteil bekommen sie oft keine Aufträge mehr.
Damit war schon beim ersten Thema klar, dass der Begriff “Selbstständig” sehr unterschiedliche Realitäten abdeckt und dass die Freiwilligkeit der Selbstständigkeit ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal darstellt. Bei Plattformarbeiter*innen und bei Honorardozent*innen ist die Selbstständigkeit die einzige Form, in der ihnen eine Beschäftigung angeboten wird.
Um so interessanter war es, festzustellen, dass die anwesenden Vertreter*innen aus unterschiedlichen Berufsgruppen der verpflichtenden Einbeziehung von nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung positiv gegenüberstehen. Viele Tagungsteilnehmer*innen waren der Meinung, dass sich eine gesetzliche Novellierung in die Richtung bewegen sollte, dass die Sozialversicherung alle abdeckt, damit Brüche in der Sozialversicherungsbiografie durch Statusänderung nicht mehr vorkommen.
Eine Aussage von Markus Kurth ist für die Honorardozent*innen besonders wichtig, und zwar die, dass die Auftraggeber*innen von Kursen auf Honorarbasis sowie die Betreiber*innen von Plattformen ihren Pflichten nicht nachkommen und dass es sinnvoll wäre, dass die Betroffenen, die anfangen, Beiträge in die DRV einzuzahlen, keine Nachzahlungen zu befürchten hätten. Das nennt man oft “Amnestie”, obwohl es sich dabei um keine Amnestie handelt, da die Berechnung der Rentenpunkte ab dem Zeitpunkt der ersten Zahlung anfängt. Erlassen wird nur die Zahlung der Beiträge rückwirkend bis zu vier Jahren. Diese Nachzahlung bedeutet für viele Honorardozent*innen eine unverhältnismäβig schwere, jahrzehntelang andauernde Zusatzbelastung.
Von der grünen Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke kam der Vorschlag, dass Selbstständige, die über ein gutes Einkommen verfügen und Beiträge in die DRV einzahlen, vom Statusfeststellungsverfahren zukünftig befreit werden.
Prof. Bieback hat in seinem Anfangsbeitrag auf die rechtliche Definition der Arbeitsnehmer*innen hingewiesen und erklärt, dass alle, die nicht in diese Definition passen, als Selbstständige gelten. Diese rechtliche Unterscheidung ist unscharf und nicht zufriedenstellend, hat aber schwerwiegende Folgen in Bezug auf Sozialversicherung, Arbeitsrechte etc.
Im zweiten Block “Auftraggeberbeteiligung an den Sozialversicherungsbeiträgen” waren die Positionen der unterschiedlichen Gruppen der Selbstständigen entgegengesetzt. Einige Selbstständige, wie die Honorarlehrkräfte, fordern seit Jahren, dass sich die Auftraggeber*innen an den Sozialversicherungsbeiträgen beteiligen. Auch die anwesenden grünen Abgeordneten sehen diesen Vorschlag positiv. Hingegen lehnen die Selbstständigen, die freiwillig so arbeiten, diese Lösung ab, weil sie von vornherein die Kosten der Sozialversicherungen in ihre Preiskalkulationen einbeziehen. Für diese Gruppe von Selbstständigen wäre eine Regelung wie in der Schweiz vielleicht interessant: Dort zahlen die Selbstständigen alleine ihre Sozialversicherungsbeiträge, diese liegen aber niedriger als die Summe der Anteile der Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen.
Eine weitere Forderung, die in vielen Redebeiträgen vorkam, war, dass Regelungen, die für die Selbstständigen relevant sind, nicht einseitig von der DRV oder von anderen Behörden festgelegt werden sollen, sondern dass die Organisationen der Betroffenen mitgestalten dürfen. Zu diesem Punkt hält Markus Kurth die Künstlersozialkasse (KSK) für ein positives Beispiel.
Die Veranstalter*innen und die Teilnehmer*innen zogen vom Fachgespräch eine positive Bilanz, auch wenn nicht alle Themen angegangen werden konnte. Zum Beispiel wurde angesprochen, dass die Kriterien zur Statusfestellung reformbedürftigt sind, auch in Bezug auf die digitale Arbeit, aber es war allen klar, dass es noch vieler Überlegungen und Debatten bedarf, um zu konkreten Lösungsvorschlägen zu kommen.