Am 14.07. musste die Bundesregierung zum Thema Sozialversicherung und Scheinselbstständigkeit der Honorarlehrkräfte Stellung beziehen.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN “Die Situation der Honorarlehrkräfte in Deutschland” wurde von Linda Guzzetti (Koordination der Honorarlehrkräfte Berlin) analysiert:
Zuerst etwas Positives: In der Antwort auf eine Frage über das Schutzniveau der arbeitnehmerähnlichen Personen erwähnt die Bundesregierung die Erweiterung des Mutterschutzes auf diese Personengruppe: „Mit dem am 1. Januar 2018 in Kraft tretenden Mutterschutzgesetz (BGBl. [2017] I S. 1228 ff.) werden schwangere und stillende Frauen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen sind, nun ausdrücklich in den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes einbezogen.“ – Obwohl die meisten Honorarlehrkräfte leider nicht „arbeitnehmerähnlich“ sind, ist dieser ausdrückliche Einbezug eines Teils von ihnen in den Anwendungsbereich des Mutterschutzes auf jeden Fall zu begrüßen. Ich frage mich allerdings, was der Begriff „nun ausdrücklich“ bedeutet: Standen die arbeitnehmerähnlichen Kolleginnen schon unter dem Mutterschutz, wussten es aber nicht, da es im Gesetz nicht „ausdrücklich“ geklärt war?
Interessant ist auch zu erfahren, was die Bundesregierung über die Situation der freiberuflichen Lehrenden an den Goethe-Instituten-im-Inland denkt. Zur Erinnerung: Im Rahmen einer noch nicht abgeschlossenen Betriebsprüfung hat die Deutsche Rentenversicherung den Status der Honorarlehrkräfte als freie Mitarbeiter*innen infrage gestellt. Anfang des Jahres hat das Goethe-Institut als Reaktion darauf die Verträge der freie Mitarbeiter*innen nicht verlängert. Jetzt ist aber nach Auffassung der Bundesregierung alles wieder in Ordnung: „Seit Anfang Juni vergibt das Goethe-Institut Aufträge an Honorarlehrkräfte auf der Grundlage eines mit der Deutschen Rentenversicherung abgestimmten Vertragsmodells.“ Dieses neue Vertragsmodell bezeichnet die Betroffenen als „Apartheid“.
In der allgemeinen Vorbemerkung zu den Antworten erklärt die Bundesregierung, dass es sehr leicht ist zu wissen, ob eine Lehrkraft eine selbständige Tätigkeit ausübt oder ob sie sich in einer abhängigen Beschäftigung befindet. Durch eine Statusanfrage bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV) kann bei Aufnahme der Tätigkeit der Status verbindlich geklärt werden. Leider strebt kaum jemand die Statusanfragen an: Die auftraggebenden Einrichtungen nicht, da sie durch die Vergabe von Honorarverträgen billiger davon kommen. Die Dozent*innen auch nicht: Auch wenn sie vor dem Sozialgericht als abhängige Beschäftigte anerkannt würden, würde dies nicht notwendigerweise zu einer Anstellung führen, da Entscheidungen der Sozialgerichte keinen Einfluss auf die Arbeitsgerichte haben.1
Was eine Statusanfrage bedeutet, war im Falle des Goethe-Instituts klar zu sehen: Die Kolleg*innen haben keine Arbeit mehr. Zudem gibt es viele Einzelfälle von Honorarlehrkräften, die von der DRV „erwischt“ wurden und die bis zu 4 Jahren nachzahlen müssen.
Bei der Frage um die Beitragsrückstände bei der DRV erklärt die Bundesregierung, dass die Beitragsrückstände bei vielen Selbständigen nicht allein aus einer begrenzten Zahlungsfähigkeit resultieren, sondern zum Teil vielschichtige weitere Ursachen haben. Zu nennen sind hier insbesondere die “Meldeversäumnisse der betreffenden Selbständigen nach § 190a Absatz 1 SGB VI.“ Anders gesagt sind viele Selbständige dafür verantwortlich, falls sie Schulden bei der Rentenversicherung haben, da sie sich seit Anfang ihrer Tätigkeit bei der DRV hätten outen sollen und einen Beitrag zahlen, der circa 20% ihrer Einnahmen beträgt, da sich die auftraggebenden Einrichtungen daran nicht beteiligen. Das ist für viele Honorarlehrkräfte unrealistisch, da sie zu wenig verdienen, um sowohl davon leben als auch für das Alter vorsorgen zu können. Letzteres weicht dann vor dringenden Ausgaben, wie z.B. der Miete.
Dieses für viele Kolleg*innen dramatische Problem ist aber in der Politik nicht wirklich angekommen, wie wir, Koordination der Honorarlehrkräfte, in den Antworten der Ministerien und bei den Gesprächen mit den Rentenexperten der Bundestagsfraktionen haben feststellen können. Anlass dieser Anfrage war ein Fachgespräch zwischen einigen Vertreter*innen der Berliner Koordination der Honorarlehrkräfte und den Rentenexperten von SPD, Grünen und LINKE, welches auf Einladung von Markus Kurth (Bündnis 90/ die Grünen) am 21.6.17 stattfand.
Zu Beginn des Jahres 2017 haben wir uns – als Koordination der Honorarlehrkräfte – an verantwortliche Institutionen im Bund gewandt: an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Bundesgesundheitsministerium sowie Abgeordnete der Fraktionen im Bundestag. Dabei haben wir ein Zeitfenster für nachzahlungsfreien Eintritt in die Rentenversicherung, die Beteiligung der Auftraggeber an Rentenversicherungs- und Krankenkassenbeiträgen sowie die Senkung der Mindestbeiträge der Krankenversicherung gefordert.
Von den Ministerien bekamen wir bisher keine positiven Antworten. Aber die Grünen im Bundestag haben im Juni 2017 das Fachgespräch organisiert, bei dem die Senkung der Mindestbeiträge zur Krankenkasse bei den drei Fraktionen Zustimmung fand. Über die anderen Themen wollen die Abgeordneten mit uns im Gespräch bleiben und nach Lösungen suchen.
1 Anders wäre es, wenn die Honorarlehrkräfte, die ein Statusklärungverfahren anstreben, einen Schutz hätten und es für die Arbeitgeberseite Sanktionen gäbe, wenn sie anerkannte „Scheinselbstständige“ nicht anstellen. Ein weiteres Element, das geändert werden könnte, ist die Diskrepanz zwischen Sozialrecht und Arbeitsrecht an dieser Stelle: Das Statusklärungverfahren wird vor einem Sozialgericht verhandelt, hat aber keine Auswirkung auf das Verfahren vor dem Arbeitsgericht. Der Arbeitnehmerbegriff sollte in allen Rechtsgebieten (Steuerrecht, Sozialrecht, kollektives und Individualarbeitsrecht) gleich definiert werden.